„Wer will denn heute das Tischgebet sprechen?“
„Das mache ich!“, ruft die zweijährige Tochter selbstbewusst und schnappt sich den hölzernen Gebetswürfel, der wie immer auf dem Esstisch liegt. Sie dreht und wendet ihn in der Hand und spricht das Gebet, das sie schon so oft gehört und in ihrer Kindersprache mitgebetet hat. Nun ist alles gesagt, nur das Amen fehlt noch. Das kleine Mädchen schaut in die Runde, überlegt einen Moment, dann lächelt sie wissend und sagt: „Tschüss!“
Kinder ahmen uns Erwachsene nach. Sie machen sich ihre Gedanken und finden eigene Antworten.
So wie auch jener kleine Junge: Die Mutter hatte das vertraute Abendgebet gesprochen: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein. Amen“ Der Junge überlegt einen Moment und ergänzt dann: „Und die Beine auch!“ Darunter konnte er sich etwas vorstellen.
Tschüss statt Amen? Beine auch?
Kinder erfinden die Dinge neu. Sie hören genau hin und ordnen die Dinge in ihre vertraute Lebenswelt ein. Für Erwachsene bringen sie dadurch manchmal Selbstverständliches durcheinander. Und indem sie es tun, eröffnen sie uns eine neue Sichtweise.
Sollen wir die Kinder korrigieren? Nein, natürlich nicht. Lassen wir es doch einfach stehen und freuen uns über die ungewöhnliche Formulierung und die andere Perspektive. Als Erwachsene können wir von den Kindern lernen. Für Jesus steht fest: Kinder sind Wegweiser für das, worauf es wirklich ankommt.
Die Jünger hatten Jesus gefragt, wie das denn mit den Plätzen im Himmel sei. Sie hätten ihn sich doch bestimmt verdient, wo sie doch alles aufgegeben und ihm gefolgt sind. Einen Platz im Himmel kann man sich nicht erarbeiten und rechten Glauben und richtiges Verhalten erwerben. Ein Anrecht auf einen Platz an Jesu Seite im Himmel haben wir nicht, aber seine Zusage und sein Versprechen, dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben werden. Mit dieser Zusage leben, frei und unbefangen, nicht in steter Sorge, was einst kommen wird, darin können uns die Kinder ein Vorbild sein. „Schaut sie euch an in ihrer Unbefangenheit“, sagt Jesus. In ihrem kindlichen Vertrauen liegen die Schätze verborgen, die uns den Weg zum Himmel auftun.
Tschüss statt Amen? Passt auch gut. Tschüss kommt von Adieu, Gott befohlen, zu Gott hin.
In diesem Sinne: Entdecken wir wieder mehr das Kind in uns.
Herzliche Grüße von
Iris Opitz-Hollburg
Monatsspruch September 2015