Manchmal zieht ein Mensch Bilanz und fragt sich: Wie war das Leben? Wie war ich?
Manchmal wird ein Mensch auch gefragt – nach seiner Bilanz. Von Freunden, von der Chefin: Wie ist Ihre Bilanz? Was nimmst Du mit, wenn Du gehst? Die Antwort fällt dann so oder so aus. Und vielleicht fragt man sich oder wird sogar leise weiter gefragt: Bereuen Sie etwas? Möchtest Du etwas ungeschehen machen?
Berühmte Menschen bekommen solche Fragen oft vor laufender Kamera gestellt. Und antworten dann ohne Zögern: Nein, ich bereue nichts. Ich würde alles noch einmal genauso machen. Ist diese Antwort mutig? Oder leichtfertig? Oder professionell? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Mensch nichts bereut aus fünfzig oder achtzig Lebensjahren.
Der Mann auf dem Bild antwortet so. Er sitzt in einem Sessel, hat einen schönen Garten hinter der großen Fensterscheibe und ein Glas Wein in der Hand. Freundlich lächelnd beantwortet er die Frage mit ziemlich fetten Buchstaben und einem Ausrufungszeichen: „Ich bereue nichts!“ Kleiner gedruckt und vermutlich auch leiser kommen danach Worte des Bedauerns aus seinem Mund: „Aber es war ja auch nichts los.“
Dann ist es einfach, nichts zu bereuen. Wer nichts tut, kann wenig falsch machen. Wer sich still zurücklehnt im Leben, wird kaum Fehler machen und wenig Schuld auf sich laden. Es sei denn die Schuld, auch das Gute einfach unterlassen zu haben.
Mit den starken Worten erinnert der Mann auf dem Bild mich an die französische Sängerin Edith Piaf. Die „Spatz von Paris“ genannt wurde und in ihrem verwegenen und chaotischen Leben berühmt wurde mit dem Lied „Ich bereue nichts – Je ne regrette rien.“
Wer Bilanz zieht, braucht dazu etwas, was wie ein Spiegel wirkt. Nicht, um stundenlang eitel davor zu stehen zur eigenen Selbstbestätigung – sondern um immer wieder die kurze Möglichkeit des Schauens zu haben. So wie der Spiegel im Flur vor der Haustür, in den wir zur Endkontrolle des Äußeren schauen. Ohne einen inneren Spiegel können wir keine Bilanz unseres Lebens ziehen. Wir brauchen ein Maß, an dem wir unser Leben messen. Aber dies können wir nicht selber sein – sonst halten wir zu viel für richtig. Wir können ja nicht Zeuge, Verteidiger und Richter in einer Person sein. Jede Rechenschaft verlangt ein Gegenüber.
Das sind für manche Menschen die Menschenrechte – für andere Menschen allein die Gesetze ihres Landes. Für Christinnen und Christen ist es Gott, an dessen Willen sie prüfen, wie ihr Leben und Handeln gewesen ist.
Wer nichts bereut, sagt dies manchmal vielleicht auch nur, weil sie oder er sich vor dem Eingeständnis fürchtet, fehlerhaft zu sein. Gäbe es etwas zu bereuen – hätte es ja Fehler gegeben. Die man sich und andern ungern eingesteht. Dies aber darf man vor Gott nicht nur, sondern man soll es sogar tun. Schlimm ist der Mann im Gleichnis (Lk 18, 9-14), der vor Gott steht und ihm aufzählt, wie gut er ist. Lieber ist Jesus da der andere Mann, der etwas weiter weg steht und zu Gott nur sagt: Gott, sei mir Sünder gnädig! Dieser Mann geht getröstet und gestärkt nach Hause, denn er weiß um seine Schuld vor Gott. Und um Gottes Vergebung.
„Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden“, sagt Jesus, „und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“ (Lukas 18, 14)
Damit ist alles gesagt. Jesus bittet uns, unsere Bilanz nicht zu fälschen und vor Gott nicht nur so zu tun, als wären wir rundum in Ordnung. Hilfreicher ist es, vor Gott ehrlich zu sein und zu gestehen, dass dies oder jenes falsch war und man anderen damit wehgetan hat. Mit einem solchen Eingeständnis öffne ich Gott die Tür, durch die er mein belastetes Herz dann erreichen und mir vergeben kann. Vergebung macht vieles leichter in der Bilanz. So ist jedes Eingeständnis eine Ermöglichung von Liebe.
Irmela Lutterjohann-Zizelmann
November 2015