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Johannes 6, 48

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Gemeinsam mit einer jungen Französin kam der Dichter Rainer Maria Rilke an einem Platz vorbei, an dem eine Bettlerin saß. Ohne je zu einem der Geldspender aufzusehen, saß sie da, Tag für Tag. Sie äußerte auch nie ein anderes Zeichen des Bittens oder des Dankes. Sie saß da, immer am gleichen Platz und streckte nur die Hand aus. Rilke gab nie etwas. Seine Begleiterin dagegen ließ häufig ein Geldstück in die Hand der Bettlerin fallen. Eines Tages fragte die Französin verwundert, warum Rilke nie etwas gäbe. Er antwortete: „Wir müssten ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand. Wenige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene Hand der Bettlerin und wollte weitergehen. Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber an, erhob sich mühsam vom Boden. Sie tastete nach der Hand des Dichters, küsste sie und ging mit der Rose in der Hand fort.
Eine Woche lang blieb die Bettlerin verschwunden. Ihr Platz, wo sie immer saß, blieb leer. „Wer mag denn jetzt wohl der Frau die Almosen geben?“ fragte Rilkes Begleiterin. Sie erhielt keine Antwort.
Nach 8 Tagen saß die Bettlerin plötzlich wieder an ihrem gewohnten Platz. Sie saß da, stumm wie immer. Und ebenso wie früher, streckte sie wieder nur die ausgezehrte Hand aus. „Aber wovon hat sie denn all die Tage, da sie nichts erhielt, nur gelebt?“ fragte die Frau. Da antwortete Rilke ihr: „Von der Rose!“
(Anekdote, die über den Dichter Rainer Maria Rilke (1875 -1920) erzählt wird)

Wovon lebt der Mensch? Nicht wovon existiert er, oder wovon über-lebt er? Sondern was brauche ich als Mensch zu einem erfüllten, gefüllten Leben? Wie wäre das, genug zum Essen zu haben, genug, um den Körper zu erhalten, aber nichts darüber hinaus? Eine schlimme Vorstellung! Keine Begegnungen, kein Grund zum Lachen, zum Weinen, keine Herausforderungen, keine Aufgaben, keine Liebe.
Wir würden verhungern. Verkümmern an Leib und Seele.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern vom Wort, sagt uns schon das Alte Testament. Lebenswert, erfüllt wird unser Leben erst in der Begegnung. Davon, dass sich uns jemand zuwendet, mit uns spricht. Davon, dass jemand Freud oder Leid mit uns teilt, uns mahnt und auch fordert, oder uns tröstet und begleitet.
Denn den Hunger nach Leben können wir nicht selber stillen. Wir können uns Brot kaufen und Kleider und ein Auto, aber keine Liebe, keine Treue, keine Freundschaft und keine Vergebung.
Jesus Christus spricht: „Ich bin das Brot des Lebens! Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“ In ihm, in seinem Wort begegnet uns, was wir zum Leben brauchen.
Er begleitet uns in allen Lebenslagen, sein Wort bleibt unser ständiges Gegenüber. Es mahnt und fordert, was dem Leben dient, es tröstet in schwierigen Zeiten und es versichert uns immer wieder Gottes Liebe.

Heike Benner