„Gastfrei“ heißt nicht „ohne Gäste“. Dieser alte juristische Begriff meint: „Der Gast muß seine Zeche nicht bezahlen, er ist vom Gastgeber eingeladen.“ Gastfreundschaft ist schwieriger geworden. Das bekommt der zu spüren, der zum Beispiel für ein Partner-schaftstreffen mit der Partnerstadt aus Frankreich private Quartiere sucht. Gastfreundschaft ist mit besonderer Mühe und Zeitaufwand verbunden. Sie setzt Offenheit für Neues und Fremdes voraus, der geplante Alltag gerät leicht durcheinander. Ich gebe etwas von mir selbst.
Das Schlusskapitel des Hebräerbriefes fasst das Wichtigste für die Gemeinde zusammen. Es ist die christliche Gastfreundschaft. Ohne die Gastfreundschaft hätten sich die Gemeinden gar nicht so schnell ausbreiten können. Das war damals die Voraussetzung für die Mission und für die Gemeinschaft der Gläubigen miteinander, denn die Zusammenkünfte fanden in Privathäusern statt. Als Paulus Anweisungen gab, wem Verantwortung für die Gemeinde übertragen werden sollte, erwähnte er auch, dass diese Beauftragten gastfrei sein sollten.
Im Monatsspruch klingt an, dass wir als Gastgeber nicht nur die Gebenden sind, sondern oft die Beschenkten und Bereicherten. Es kann sein, dass wir ohne es zu wissen, Engel beherbergen.
Was Gastfreundschaft in ihrer Vollendung ist, zeigt Abraham. Zur ungünstigen Zeit, mitten in der Sommerhitze, kommen drei Fremde auf sein Zelt zugelaufen. Abraham ist nicht „genervt“, wie selbstverständlich kniet er auf dem Boden. Danach wäscht er den Fremden eigenhändig die Füße. So geht es unter Nomaden in der Wüste zu. Es ist ein Zeichen der Gastfreundschaft. Auch Jesus hat seinen Jüngern vor dem Abendmahl selbst die Füße gewaschen! Großartiger kann Gastfreundschaft nicht ausfallen!
Die schönste Geschichte über Gastfreundschaft finde ich bei dem Propheten Elia, der Prophet, der im Stadttor eine Frau antrifft, die für sich und ihren Sohn die letzte Mahlzeit zurichten will. Alle Vorräte sind durch eine Hungerkatastrophe aufgebraucht. Elia mutet ihr seine Gastfreundschaft zu - und die Frau weist ihn nicht zurück. Sie überwindet ihre Angst davor, dass es nicht reichen könnte und macht eine überraschende Erfahrung: Es reicht für mehr und es reicht weiter. Ein Geheimnis der Gastfreundschaft zeigt sich hier. Wenn wir das, was auf unserem Tisch ist, mit anderen teilen, dann teilen wir mit dem Essen auch unser Leben. Darin unterscheidet sich die Gastfreundschaft von dem, was in der Regel als „Ausnutzen“ beschrieben wird: Dabei profitiert nur einer und der andere verliert. Gastfreundschaft dagegen bereichert das Leben aller Beteiligten.
„Gastfrei zu sein, vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“
Die Bibel weiß von vielen Erfahrungen zu berichten, die diese Weisung gegen das Vergessen aus dem Hebräerbrief bestätigen.
Für andere da zu sein, Verantwortung zu übernehmen, Unannehmlichkeiten nicht zu scheuen, offen zu sein für Neues, das gehört zum Leben. In allem kann uns Gott begegnen. Vergesst nicht, mit möglichen Engeln in eurem Leben zu rechnen. Vergesst nicht, mit Gott selbst in eurem Leben zu rechnen, so mahnt der Hebräerbrief.
Engel erkenne ich nicht, wenn sie vor mir stehen. Aber wer weiß? Vielleicht erinnern Sie sich daran, wenn mal wieder ein ungebetener Gast im ungünstigen Augenblick an der Tür steht und klingelt. Gastfreundschaft ist ein hohes Gut, sie bereichert das Leben.
Rainer Schling