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2. Korinther 6, 2

 

Liebe Leserinnen und Leser!
Mit dröhnenden Klängen unterbrechen die Glockenschläge die dunkle Nacht. Da stimmt doch was nicht, denken die Menschen. Es läutet zur falschen Zeit. Laut und unwiderstehlich.
So geschehen vor einigen Monaten in der Kirchengemeinde Leopoldstal. Danach Erklärungsbedarf und Diskussionen. Darf in unserer Welt, in unserem Land, in unserer Stadt, wo für viele Menschen der Glaube und die Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinde kaum noch eine Rolle spielt, ein so lautes und unverwechselbares Tönen erschallen, wie es nur unsere Kirchenglocken von sich geben? Darf in einem Land, in dem Religionsfreiheit besteht, eine Religion, so den Ton angeben? Denn schließlich ist das Läuten ja nicht nur in römisch-katholischen oder evangelisch- reformierten Ohren hörbar, sondern auch bei denen, die eine andere Religion oder gar keine haben.
Ja, eindeutig ja.
Das Läuten der Kirchenglocken hat Tradition. Die Glocken rufen die Gemeinde zum Gottesdienst. Das ist ihr erster Zweck. In den Zeiten, in denen noch nicht jeder und jede eine Uhr besaß und auch keine Gelegenheit hatte, mal eben der Feldarbeit den Rücken zu kehren, um auf die Uhr in der eigenen Wohnstube zu schauen, gaben die Glockenschläge die Uhrzeit und kündigten Feierabend und den Beginn des Sonntags zu festen Zeiten an.
Aber es geht nicht nur um Tradition oder ein Gewohnheitsrecht, sondern es geht um den Glauben.

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“    2. Kor. 6,2

Glockenklang tut gut. Mitten in unsere Weltzeit bringt der Klang der Kirchenglocken die Gotteszeit zum Klingen. Unsere Uhren am Handgelenk, der Wohnung oder auf dem Smartphone bestimmen nur die Menge der Zeit. Sie beantworten nur die Frage: Wie spät ist es?
Die Kirchenglocken aber bestimmen die Art und die Güte der Zeit. Sie fragen: Welche Zeit ist es? Zeit läuft und läuft, so unser Eindruck. Wie spät ist es, so fragt einer, der sich zu viel vorgenommen hat und sich jetzt sorgt, ob seine oder ihre Zeit auch reicht. Ist es wirklich schon so spät? Das Handy vibriert, der Wecker schellt und die Küchenuhr geht vor, damit auch niemand den Bus verpasst. Anders die Glocken. Sie läuten und sagen „Der Moment ist jetzt.“ Jetzt ist die Trauung, jetzt ist die Taufe, jetzt ist die Stunde des Gottesdienstes.

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“    2. Kor. 6,2

Mitten in der Weltzeit erklingt die Gotteszeit und lässt uns aufhorchen. Festtagsgeläut, Mittagsläuten und Geläut des Gedenkens an die Verstorbenen.
Es wird laut: Gott ist gegenwärtig. Und wer möchte, kann mitbeten, wer hinhört, weiß sich verbunden mit anderen Menschen. Und auch der, der oder die mit der Institution Kirche „fremdelt“ weiß dennoch, der Glockenklang kündet davon, dass da noch mehr ist zwischen Himmel und Erde und dass Gott sich niemals abwendet, auch von denen nicht, die sich ausgeschlossen fühlen.
Es dauert nicht mehr lange, dann läutet es wieder. Hören Sie doch mal hin. Gottes Zeit ist jetzt. Gott lässt seine Gegenwart und Treue verkünden.

„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“    2. Kor. 6,2


Mit diesen Gedanken grüße ich Sie – auch im Namen des Kollegenkreises – sehr herzlich.
Ihre Pfarrerin
Annette Schulz
aus Leopoldstal

Von Haus zu Haus, August-September 2019