„Vergeltet nicht Böses mit Bösem“, natürlich, aber das ist oft leichter gesagt als getan. Andere haben vielleicht mit Streit und mit Bösem angefangen. Ausgerechnet ich soll dann nachgeben und nicht dagegenhalten? Wer zuerst nachgibt, der hat doch bereits verloren. Ist der Streit aber erst eskaliert, ist es ziemlich egal, wer angefangen hat.
Auch als Christ kann ich mir doch nicht alles gefallen lassen. Lassen wir uns darum von schönen Worten nicht täuschen.
Der Monatsspruch für April bietet christliche Lebensorientierung an, die nicht mehr in unsere Zeit zu passen scheint. Zwar bitten wir im Vaterunser: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Und Christus mahnt eindrücklich: „Wenn du daher deine Gabe zum Altare bringst und dich daselbst erinnerst, daß dein Bruder etwas gegen dich hat, so laß deine Gabe dort vor dem Altar, geh zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe.“(Matthäus 5,23) Als Christ lebe ich nicht nur davon, dass mir vergeben wird, sondern ich darf auch meinerseits vergeben und mich versöhnen. Warum wird aber auch unter Christen eine Versöhnung mit dem Bruder oft gar nicht erst versucht, sondern regelrecht abgelehnt. Statt einen Irrenden zur Wahrheit zu rufen, wird der Irrende zu einem künftigen Hölleninsassen erklärt. Christen, die sich zum obersten Richter über ihre Mitmenschen aufspielen, wandeln auf den Pfaden der Schriftgelehrten und Pharisäer, die sich rühmen, die Gottgefälligsten der Gottgefälligen zu sein, und die sich über die Irrenden in vollkommener Selbstherrlichkeit erheben. So ein Verhalten darf es bei uns nicht geben. Jemanden zu „verteufeln“, haben wir nicht nötig.
„Vergeltet nicht Böses mit Bösem“, dies ist auch aus anderer Sicht wichtig. Denn Vergeltungsschläge treffen immer auch Unschuldige und provozieren neue Schläge und neue Konfrontationen. Nicht nur im fernen Irak, sondern auch bei uns kann man es beobachten: im Teufelskreis von Gewalt und Vergeltung gibt es letztlich nur Verlierer und keine Gewinner. Im zwischenmenschlichen Umgang ist es weithin üblich, nach dem Grundsatz „wie du mir, so ich dir“ zu verfahren. Das führt zu Rückschlägen.
Rückschläge sowohl im zwischenmenschlichen Bereich als auch im großen Weltgetriebe sind aber im wahrsten Sinne des Wortes Schläge und Verletzungen. Und es sind immer Menschen, die eben diese Schläge und Verletzungen ausführen - keine abstrakten Mächte oder irgendwelche imaginären Befehle. Aber auch im übertragenen Sinn zeigen Rückschläge keinen Weg vorwärts, sondern markieren Niederlagen und Verluste.
„Segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid“,
wer segnet, kann den Teufelskreis durchbrechen, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt beenden. Segnen heißt, das weitergeben, was wir von Gott erhalten haben: den Segen.
Segen bedeutet für mich: Gott schenkt mir Heilung, macht meine verwundete Seele heil, schenkt mir Möglichkeiten, Selbstheilungskräfte zu entdecken und zu entwickeln. Aber das strahlt auch nach außen. Den Segen erhalte ich, indem ich ihn verschenke. Im Segen erhalte ich Kraft und Mut, für Menschlichkeit und Liebe einzutreten. Weil ich so gestärkt bin, muß ich nicht Böses mit Bösem vergelten, habe ich keinen Gefallen an Scheltworten, kann ich den Teufelskreis durchbrechen.Wer den anderen segnet, wünscht ihm alles Gute, ich schlage nicht zurück.
Rainer Schling