Kranzniederlegung
Lesung: Psalm 80 i. A. (nach der Verdeutschung von Martin Buber, gemeinsam mit Franz Rosenzweig)
„Hirt Israels, lausche!
Der wie Schafe Josef lenkt,
der auf den Cheruben Sitz hat,
erscheine!
Vor Efrajim, Binjamin, Mnasche
rege deine Heldengewalt
und komm uns zur Befreiung!
Gott,
lass es uns wiederkehren!
lichte dein Antlitz
und wir sind befreit!
DU, Gott, Umscharter!
Bis wann zornrauchest du
beim Gebet deines Volks:
hast gespeist sie mit Tränenbrot,
mit Tränen sie geletzt dreilingweis,
machst unsern Anwohnern uns zum Zwist,
unsre Feinde spotten drauf los!
Gott, Umscharter,
lass es uns wiederkehren!
lichte dein Antlitz
und wir sind befreit!
…
Mögen sie vor der Drohung deines Antlitzes schwinden!
Deine Hand sei überm Mann deiner Rechten,
überm Menschensohn, den du dir hast erstarken lassen,
und nie wollen wir abschwenken von dir!
Belebe uns,
und ausrufen wollen wir deinen Namen!
Du, Gott, Umscharter,
lass es uns wiederkehren!
lichte dein Antlitz
und wir sind befreit!“
Ansprache Pfarrer Matthias Zizelmann
Liebe Anwesende,
vor Kurzem, da erzählte mir ein Horner Bürger von seinem Schulweg am Morgen des 10. November 1938. Seinem Erschrecken über die Zerstörung, die zerbrochenen Schaufensterscheiben, das achtlos Weggeworfene und Daliegende – vor allem vor dem Haus der Familie Blank sah er dies.
Dort war offenbar besonders gewütet worden, am Abend des 9. November. Dem Tag, der als Reichspogromnacht in die Geschichte einging
Nicht recht einordnen konnte er dies als kleiner Junge, was da geschehen war, länger als sonst hätte der Weg gedauert, sagte er, weil er stehen blieb und sich die Zerstörung anschauen wollte.
Auch der Lehrer hätte an diesem Morgen nicht recht gewusst, was er sagen sollte, meinte er.
Vielleicht war das eines der größten Probleme damals, dass man nicht recht wusste, wie auf solche pogromartigen Ausschreitungen zu reagieren ist, und ob an der üblen Propaganda denn nicht doch ein Funken Wahrheit ist.
Vielleicht deshalb, so empfinde ich es, bleibt es wichtig, sich am heutigen Volkstrauertag auch hier auf dem Jüdischen Friedhof zu versammeln.
Die Zeitzeugen verstummen immer mehr.
Aber es muss weiter Menschen geben, die sich der furchtbaren Geschehnisse erinnern, die auch hier in unserem Ort geschehen sind.
Es muss Menschen geben, die trauern und erschrecken und sich dafür einsetzen, dass sich nicht wiederholt, was war – das Menschen, die mitten in der Gesellschaft lebten, plötzlich stigmatisiert, an den Rand gedrängt, tätlich angegriffen und schließlich umgebracht werden.
Umso mehr, denke ich, spüren wir in diesem Jahr die Wichtigkeit unseres Tuns. Der rechtsextremistische Anschlag auf die Synagoge in Halle liegt noch nicht lange zurück, Menschen ließen ihr Leben dort.
Und politische Kräfte unseres Landes versuchen diese zutiefst antisemitische Tat zu verharmlosen, indem sie sie als die Tat eines „verblendeten Einzeltäters“ beschreiben.
Nein, es sind eben genau diese politischen Kräfte, die rechtsextreme Aussagen wieder sagbar machen und damit Grenzen so verschieben, dass ein Umfeld entstehen kann, in dem solche abscheulichen Taten geplant und ausgeführt werden.
Beschämt sind wir, dass jüdische Menschen in Deutschland wieder zu Opfern von Gewalttaten werden, darüber, dass jüdische Religionsausübung und jüdisches Leben bedroht ist, angegriffen wird und geschützt werden muss.
Ein Stück weit entfernt, diese unmenschlichen Taten, so helfen wir uns gerne.
Doch, ich denke, dies darf uns nicht dazu verleiten, zu denken, dies könne bei uns nicht geschehen.
Denn auch hier in Horn erleben wir, wie Menschen aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert und ausschließlich als „Problemfälle“ gesehen werden. Dabei kam und kommt es zu Äußerungen, die massiv die Würde von Menschen herabsetzen, ihnen gar jede Würde absprechen.
Sicher müssen aufgetretene Probleme gelöst werden.
Gar keine Frage.
Aber sicher nicht mit der Hilfe rechter Parolen, von außen herangetragen und dumpf nachgesprochen.
Sondern in gegenseitigem Respekt.
Im Vordergrund sollte – meiner Meinung nach – die Frage stehen: Wie kann Zusammenleben gelingen?
Und nicht die Frage: Wie kann ich möglichst schnell loswerden, was mir fremd und ungewohnt, was mir fern und unverständlich ist?
Dass er endlich hinschaut, das erwartet der Beter oder die Beterin des 80. Psalms von Gott.
„Lichte dein Antlitz
und wir sind befreit!“,
so sagt sie oder er.
Und wahrscheinlich ist es doch das, was auch wir von uns selbst erwarten können und sollen.
Hinzuschauen.
Ehrlich. Auch auf die Sorgen und Probleme.
Aber auch darauf, wo die Stereotypen einer verblendeten Vergangenheit zu Heilmitteln der Gegenwart und Zukunft gemacht werden sollen.
Wachsamkeit ist verlangt, hier auf dem Jüdischen Friedhof von Horn, auf dem die Bestattung von Jakob Hirschfeld, Opfer der Pogromnacht von 1938, die letzte war.
Wachsamkeit.
Und Menschlichkeit.
Im Gegenüber den Menschen zu erkennen, bedürftig, angewiesen auf Liebe, mit Stärken und Schwächen behaftet – wie ich.
Auf jüdischen Friedhöfen, so die Vorstellung, warten die Verstorbenen auf das Kommen Gottes, der wiederbelebt, was da im Moment in der Erde liegt.
Der Tod, gleichsam eine Übergangszeit.
Bis Gott wieder Leben schenkt. ja, „alles in allem“ ist.
So wir und die, derer wir gedenken, gemeinsam Hoffende auf eine Zeit, in der Gerechtigkeit und Friede herrschen werden. In der der Tod nicht mehr sein wird und auch nicht alles, was zu ihm führt, Krankheit und Gewalt, Folter, Mord und Terror.
Noch stehen wir hier auf dem Jüdischen Friedhof.
Jahr für Jahr.
Aber weder sollten wir die Hoffnung aufgeben auf eine Welt, die dem Willen Gottes entspricht, und die einmal kommen wird – von ihm her, noch sollten wir unser Handeln aufgeben, dieser Welt und ihren Prinzipien immer mehr nahezukommen.
Ansprache Ditmar Ahrweiler, Arbeitskreis gegen Nazis
Liebe Anwesende,
heute ist der Volkstrauertag und wir haben uns heute hier versammelt, um allen Opfern der NS-Zeit zu gedenken.
Betrachtet man die geschichtliche Entwicklung dieses Tages, so ist dies nicht selbstverständlich.
1919 schlug der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge diesen als Gedenktag für die Gefallenen deutschen Soldaten im 1.Weltkrieg vor.
Der erste Volkstrauertag in der Weimarer Republik fand am 1.3.1925 statt. Nach dem Tod vom Ebert.
Die einen gedenken an diesem Tag den gefallenen Helden deutscher Kriegskunst. Die anderen gedenken den Folgen dieses Krieges und mahnen den Frieden an.
1934 nach dem Tod Hindenburgs übernahmen die Nazis diesen Gedenktag und machten ihn zum festen Feiertag. Er wurde unbenannt zum Heldengedenktag. Tragender Gedanke waren nun nicht mehr Gefallenen im Krieg, sondern die NSDAP und die Wehrmacht. Fahnen wurden nicht auf halbmast gesetzt, sondern vollstock.
1952 in der jungen Bundesrepublik wird dann der Volkstrauertag als stiller schützenswerter Gedenktag aufgenommen. Es gibt weder eine inhaltliche Vorgabe ( außer in Hessen und Hamburg Gedenktag an die Opfer der NS-Zeit und beider Weltkriege.
Auch der Name ist nicht überall gleich. In einigen anderen Bundesländern heißt er Gedenk-und Trauertag.
Diese ungenaue Regelung lässt natürlich eine Deutungshoheit offen. Je nach Regierung könnten die Inhalte dieses Tages auch anders gestaltet werden. In einigen Reden wird ja ganz allgemein aller Opfer von Gewalt, Terror und Krieg gedacht oder auch den Gefallenen Bundeswehrsoldaten in Auslandseinsätzen.
Wir stehen hier heute und gedenken aller Opfer des Nationalsozialismus. Vielleicht heute, nach Halle, mit dem Augenmerk auf die jüdischen Opfer der NS Zeit.
Herr Gaulandt bezeichnet die Hitlerzeit als Vogelschiss in der Geschichte.
Herr Höcke spricht von einem Mahnmal der Schande und verlangt eine 180Grad Umkehr in der Erinnerungskultur. Natürlich wie immer sehr doppeldeutig formuliert.
Die Partei die Rechte nutzt den 9.November um die Holocaustleugnerin Haberbeck zu ehren. Für uns alle schwer zu ertragen aber auszuhalten in unserer Demokratie.
In diesen Zeiten ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die eine eindeutige Haltung an diesem Tag haben zu den Opfern aus Verfolgung in der NS Zeit.
Ihrer Leben und Schicksal mahnt uns und verpflichtet uns.
Nicht weil wir Schuld haben oder fühlen an Ihrem Schicksal,
nicht weil wir verantwortlich sind für ihr erlittenes Leid in der NS-Zeit.
Aber wir fühlen uns verantwortlich mit all unseren Sinnen und Möglichkeiten dafür zu kämpfen eine Wiederholung dieser Geschichte zu verhindern. Was wir selber tun können, ist jederzeit Zivilcourage zeigen, wenn menschenfeindliche Haltungen an den Tag gelegt werden.
Die inkonsequente Vorgehensweise des Staates gegen den Rechtsextremismus in der heutigen Zeit führt dazu, dass es wieder Opfer gibt, nicht erst seit Halle.
Für mich gilt, währet den Anfängen. Aus Respekt möchte ich nun das folgende jüdische Gebet vortragen.
Beim Aufgang der Sonne
Beim Aufgang der Sonne
und bei ihrem Untergang
erinnern wir uns an Euch;
Beim Wehen des Windes
und in der Kälte des Winters
erinnern wir uns an Euch
Beim Öffnen der Knospen
und in der Wärme des Sommers
erinnern wir uns an euch;
Beim Rauschen der Blätter
und in der Schönheit des Herbstes
erinnern wir uns an euch;
Zu Beginn des Jahres
und wenn es zu Ende geht,
erinnern wir uns an euch;
Wenn wir müde sind
und Kraft brauchen,
erinnern wir uns an euch;
Wenn wir verloren sind
und krank in unserem Herzen
erinnern wir uns an euch;
Wenn wir Freude erleben,
die wir so gern teilen würden
erinnern wir uns an euch;
So lange wir leben,
werdet auch ihr leben,
denn ihr seid nun ein Teil von uns,
wenn wir uns an euch erinnern