„ER hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf Händen tragen
und du mit deinen Füßen nicht an einen Stein stoßest"
Psalm 91, 9-11
Dieses Bibelwort wählen Eltern gerne als Taufspruch für ihre Kinder. Denn das ist es ja, was sie für ihre Kinder erbitten: Gott möge sie auf allen Wegen durch seine Engel behüten und bewahren.
In der Bibel ist oft von Engeln die Rede. Sie werden Gottes dienstbare Geister genannt und begegnen den Menschen auf unterschiedlichste Weise: Die Engel trösten und geben guten Rat. Sie bewahren vor Gefahren und warnen vor falschen Wegen. Die Engel überbringen gute Nachrichten: Den Hirten auf den Feldern bei Bethlehem verkünden sie, dass der Heiland geboren ist. Den Frauen, die den toten Jesus salben wollen, sagen sie, dass er lebt.
Die Engel sind Gottes Boten. Sie verbinden Himmel und Erde und bringen etwas von Gottes Herrlichkeit in unsere Welt.
Die Verbindung zwischen Himmel und Erde und zu Gottes Herrlichkeit bringen Taufengel anschaulich zum Ausdruck. Nach dem 30-jährigen Krieg wurden sie für viele norddeutsche Kirchen geschaffen und gaben den Gläubigen Trost und Hoffnung.
Es gab aber auch eine Zeit, da empfand man sie als theologisch fragwürdig und Spiegel eines naiven Kinderglaubens. Man nahm die Taufengel ab und verbannte sie auf die Dachböden der Kirchen. Heute erleben sie geradezu eine Renaissance.
Dieser Taufengel hängt in der alten Dorfkirche in Reiffenhausen im Eichsfeld. Die Jahreszahl 1752 unter seinen Fußsohlen zeigt wie alt er schon ist. Wie einen Götterboten aus der griechischen Mythologie hat ihn der barocke Künstler geschaffen.
Der Engel hält die Taufschale in den Händen. Sein Kopf ist von einem Strahlenkranz umgeben, ein Zeichen für Gottes Herrlichkeit.
Mit dem Taufengel lässt sich die Taufe als ein himmlisches Geschehen begreifen. Der Engel bringt Gottes Botschaft auf die Erde. Gott selbst spricht zu dem Täufling: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein geliebtes Kind."
Man stelle sich vor, der Taufengel könnte reden. Er hätte wohl viel zu erzählen von dem, was in den letzten 260 Jahren unter seinen Füßen geschah. Vielleicht würde er Geschichten erzählen wie diese:
..."Von hier oben hatte ich immer alles im Blick. Denn nur zu den Taufen ließen sie mich herab. So konnte ich teilnehmen, mitten drin sein im Geschehen der Gemeinde. Generationen von Familien habe ich gesehen. Sie brachten ihre Kinder zur Taufe und man konnte ihnen ansehen, wie sehr sie sich freuten über das neue Leben.
Aber wie oft habe ich auch mitgeweint, wenn sie ihre Kinder von hier aus zum Friedhof bringen mussten.
Oft habe ich mich gefreut und mitgelacht, wenn die jungen Paare in die Kirche traten und unter dem Klang der Orgel in die Kirche einzogen.
Wie viele Pastoren habe ich kommen und gehen sehen. Wie oft habe ich mich an der Musik erfreut und manchmal auch erduldet, wenn dem Dorflehrer, der sonntags auch die Orgel zu spielen hatte, die rechten Töne nicht in die Finger und unter die Füße kommen wollten. Auch die Konfirmanden hatte ich im Blick, wenn sie tuschelten oder aus lauter Langeweile Herzchen in die Kirchenbänke ritzten.
Heute sehe ich Gottesdienste, in denen die Kinder nicht mehr still sitzen müssen und auch die Erwachsenen sich mit bewegen dürfen.
Neuerdings öffnet sich oft auch unter der Woche die Tür. Frauen und Männer mit Rucksäcken und schmutzigen Wanderstiefeln kommen herein. Neugierig gehen sie umher und wundern sich, dass ich von hier oben auf sie herunter schaue. Sie schauen mir unter die Füße und ins Gesicht. Andere zücken ihre Kamera und halten mich zur Erinnerung auf einem Foto fest.
Manche zünden eine Kerze an, andere setzen sich in die Bänke und werden still, wieder andere stimmen einen Choral an.
Ehe sie gehen stempeln sie ihren Pilgerpass mit dem Kirchenstempel.
Am Sonntag freue ich mich über die viele Gesichter meiner Gemeinde. Sie sind mir vertraut und in ihren Fältchen und Furchen kann ich ablesen, wie es das Leben mit ihnen gemeint hat in den Jahren. An den Feiertagen wird es eng in der Kirche oder wenn zum Konzert eingeladen wird.
Die Menschen meiner Gemeinde sind heute ganz anders als vor 20 Jahren noch. Die Höhepunkte ihres Lebens erleben sie zwar nicht mehr alle hier vor dem Altar, aber mir scheint, ich gehöre immer noch zu ihrem Leben und sie fühlen sich einfach wohl in ihrer Kirche. In meinen vielen stillen Stunden bete ich für sie und immer wenn sie zu mir kommen, segne ich sie lächelnd."
Vielleicht flüstert Ihnen bei einem Besuch in einer alten Dorfkirche ein Taufengel eine Geschichte ins Ohr. Hören Sie gut hin.
Das wünscht Ihnen, auch im Namen des Kirchenvorstandes und von Pn. Stijohann, Ihre Iris Opitz-Hollburg
Andacht September 2011