Das Mosaik an der Stirnseite unserer Friedhofskapelle erinnert an den 90. Psalm.
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Ich gebe zu, obwohl ich oft vor der Halle stehe, habe ich das Mosaik kaum beachtet. In der Halle hören wir bei jedem Trauergottesdienst Geschichten gegen den Tod. Wir haben eine Botschaft, die dem Tod als letzte Erfahrung des Menschen entgegentritt. Sie lenkt den Blick auf Jesus Christus, von dem gesagt werden muss: der Tod konnte ihn nicht vernichten. Im Gegenteil: Er ist im Tod neu lebendig geworden - durch Gott, in dessen Hände er sich begeben hat. Als Christ lebe ich von der Hoffnung, dass der Tod und seine Mächte nicht das letzte Wort behalten werden. Und trotzdem wird in dieser Halle auch geweint und getrauert. Das gehört auch zum „klug werden“ dazu. Die Abschiedstrauer darf nicht verdrängt werden. Christliche Hoffnung auf neues Leben und Trauer des Abschieds - beides gehört an diesem Ort zusammen. Die Symbole des Mosaiks drücken das auf einfache Weise aus. Sofort ins Auge fallen das Kreuz und der Kelch. Das Keuz weist auf Jesus Christus, den Gekreuzigten. Der Kelch erinnert an das Abendmahl. Im Abendmal feiern wir die Bedeutung dieses Todes für uns. Wir trinken gemeinsam aus dem Kelch und hören die Worte: „Das ist das Blut unseres Herrn Jesus Christus, für euch vergossen zur Vergebung der Sünden. Es stärke und erhalte euch zum ewigen Leben“. Ich vermute, der Künstler des Moasiks, dessen Namen ich leider nicht in Erfahrung bringen konnte, hat an dieses Wort gedacht. Denn die fünfeckige Fläche mit ihren vor allem dunklen erdigen Farben weist auf die Erde hin, vielleicht den Friedhof, den wir vor Augen haben. Die ovale Fläche mit den hellen Mosaiksteinen ist ein Symbol des Himmels, an den wir glauben, den wir nicht so unmittelbar vor Augen haben. Erde und Himmel werden verbunden durch das Kreuz. Auch der Kelch mit seinen ovalen und den rechteckigen Elementen zeigt formal die Verbindung. Am gelungensten finde ich die farbliche Aufteilung der Mosaiksteine selbst. Da finden sich im eckigen Erdfeld bei genauem Hinsehen schon helle (himmlische) Steine und im Himmel umgekehrt finde ich etwas von der Erde wieder. Auf den ersten flüchtigen Blick sind kaum Unterschiede zu erkennen. Ist das nicht auch so mit unseren Vorstellungen vom Himmel, von dem, was nach dem Tod kommt? Da hat sicher jeder so seine eigenen Phantasien und Bilder. Im Lauf eines Lebens ändern sich diese Bilder. Aber was bleibt ist das Vertrauen, dass Gottes Beziehung zum Menschen nicht mit dem Tod endet, sondern in einem anderen Leben neu Gestalt gewinnt. Die Aufforderung aus dem 90. Psalm „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, bleibt darum eine lebenslange Aufgabe.
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Ich darf Sie bitten, wenn Sie jetzt in den „stillen“ Novembertagen mit Buß- und Bettag, Volkstrauertag und Ewigkeitssonntag Ihr Weg auf unseren Friedhof führt, dann schauen Sie sich doch einmal das Mosaik genauer an. Vielleicht kommen Sie auf ganz andere Gedanken. Ich bin jedenfalls auch noch nicht fertig damit. Was bedeutet z.B. diese spitze Zacke oben am Oval?
Rainer Schling