„Du machst fröhlich, was da lebet im Osten und im Westen“
Psalm 65,9
Monatsspruch Oktober 2008
Zum Glück gibt es auch immer wieder Momente der Freude in meinem Leben. Aber es ist meistens Freude im Kleinen. Das Glücksgefühl, mit dem ich Freude erlebe, ist darum oft auch schnell wieder verschwunden. Aber es gibt sie. Ich freue mich über spielende Kinder, denen ich einen Augenblick zuschaue. Oder ich erfreue mich an unserem Blumengarten.
Aber wie oft gehe ich achtlos an der ganzen Pracht vorbei? Warum lassen wir uns so wenig Zeit für die Momente der Freude?
„Du machst fröhlich, was da lebet im Osten und im Westen“
Im 65. Psalm ist die Freude nicht auf einen Augenblick der Verzückung verdichtet, sie ist weit gespannt, betrifft alles, was lebt.
Gott selbst sorgt für die Fröhlichkeit. Er ruft heraus aus aller Traurigkeit, allen Depressionen, allem Zank. Aber warum spricht der Psalmist nur vom Osten und Westen, hat er den Norden und den Süden vergessen?
Dass es hier nicht um Himmelsrichtungen geht, habe ich in der Übersetzung des jüdischen Theologen Martin Buber erfahren. Im Gegensatz zu Martin Luther übersetzt er den neunten Vers:
„Die Aufgänge des Morgens und Abends machst du jubeln.“
Das stimmt. Die intensivsten Momente des Tages sind bei Sonnenaufgang am Morgen und beim Sonnenuntergang am Abend. Ich freue mich dann besonders über die Schönheit der Natur, das warme Licht scheint alles zu verzaubern. Renne ich sonst fast „blind“ durch die Gegend, verzaubert mich die Morgen- oder auch Abendstimmung. Ich freue mich, aber worüber eigentlich?
Aus der Psychologie weiß man, „in der Freude werden Dinge, Personen und Situationen als Geschenk erlebt“. Das ist es, was ich erlebe, wenn ich mich scheinbar grundlos freue. Ich ahne in solchen Momenten, mein Leben ist nicht mein Verdienst, es ist ein Geschenk, ein Geschenk von Gott. So werde ich hineingezogen in ein beständiges Gespräch mit Gott.
Dass der Spruch aus dem 65. Psalm für den Monat Oktober ausgesucht ist, ist passend. Die Ernte ist eingebracht. Am 5. Oktober feiern wir dieses Jahr unser Erntedankfest. Die Gaben, die unsere Kirche schmücken werden, erinnern uns an den Grund unseres Lebens. Wir Menschen sind in Gottes Schöpfung eingebunden und damit in den Kreislauf des Lebens und der Welt. Der Psalmbeter preist die wunderbaren Taten Gottes. Er erinnert uns daran, dass wir aus Gottes Güte leben. Und der Psalmbeter weiß, dass Gottes Segen uns an jedem Tag neu begleitet, denn „du machst fröhlich, was da lebet im Osten wie im Westen“.
Der Psalm ist ein Danklied für den Segen Gottes, der an Leib und Seele empfangen wurde. Im Hintergrund stand damals wohl eine drohende Hungersnot, die Gott abgewendet hat. Im Erntesegen erkannte die dankbare Gemeinde die Fußspuren Gottes:
„Du krönst das Jahr mit deinem Gut und deine Fußstapfen triefen von Segen.“ (Psalm 65, 12)
Nur wer die Momente der Freude erlebt, etwas ahnt von den von „Segen triefenden Fußstapfen Gottes“ ist auch bereit, denen zu helfen, die in Not sind. Ein Hurrikan folgt dem anderen, Flutkatastrophen haben Ernten zerstört. Menschen haben alles verloren, sie wissen nicht, wovon sie sich das nächste Jahr ernähren sollen. Der Klimawandel ist für viele keine theoretische Diskussion, sondern jetzt schon akute Lebensbedrohung. Bei allem Feiern des Segens Gottes werden wir das nicht vergessen.
Zur Fröhlichkeit, die Gott schenkt, gehört auch eine offene Hand, die gerne gibt!
Rainer Schling