„Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.“ (Sirach 1,10)
Gedanken zum Spruch des Monats September 2022
Vor einigen Jahren habe ich eine überregionale deutsche Tageszeitung abonniert und tagtäglich gelesen – die „Süddeutsche Zeitung“. Es war die Zeit, in der ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Marburg wirkte und für gewöhnlich aus meinem Wohnort Gießen mit dem Zug dorthin pendelte. Hier im Zug hatte ich immer schön Zeit, Zeitung zu lesen. Ich habe das wirklich sehr genossen. Erst grob sichten, welche Themen auf welchen Seiten behandelt werden und dann einzelne Artikel näher und detaillierter lesen. Meistens bin ich bei den tagespolitischen Berichten hängen geblieben, vor allem die Seite mit den Kommentaren hat mich interessiert. Doch immer wieder machte ich auch einen Abstecher ins Feuilleton, in den Wirtschafts- oder Sportteil. Einfach herrlich.
Seit einigen Jahren komme ich leider nicht mehr dazu, meine geliebte „Süddeutsche“ zu lesen. Ich bin schon froh, wenn ich Zeit finde, die LZ ausreichend wahrzunehmen. Das ist aufgrund meines derzeitigen Tagesablaufs gar nicht so einfach. Doch wie auch immer: Vor einigen Jahren habe ich eben intensiv mit der „Süddeutschen“ gelebt. Eine andere Tageszeitung kam für mich eigentlich nicht infrage.
Es kam aber einmal vor, dass ich meine Zeitung vergessen hatte und da ich mir die „Süddeutsche“ nicht extra am Kiosk kaufen wollte, habe ich mir eine andere wichtige überregionale Zeitung, die „FAZ“, gekauft. Und ich muss sagen: Auch wenn bei mir nichts über die „Süddeutsche“ kommt, auch in der „FAZ“ finden sich tolle Artikel und Berichte. Ein ähnliches Gefühl wie damals hatte ich, als ich den Spruch für den Monat September wahrgenommen habe: „Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.“ Dieser Vers steht nämlich nicht im sogenannten kanonischen Teil unserer Heiligen Schrift – also nicht im regulären Teil des Alten oder Neuen Testaments. Dieser Vers steht im Buch (Jesus) Sirach, das zu den sogenannten Apokryphen zählt. Zu diesen Apokryphen gehören nach evangelischer Lesart zehn Bücher. Dabei handelt es sich um Texte, die im Umfeld der Geschichte des alten Volkes Israel und im Vorlauf zum Leben Jesu entstanden sind, aber nicht zur eigentlichen Bibel gehören. Wegen ihres Inhalts sind sie aber trotzdem in einigen Bibelausgaben enthalten.
So wie ich als „Süddeutsche“-Leser eigentlich nie eine andere Zeitung gelesen habe, lese ich als „kanonischer“ Bibelleser eigentlich nie die Apokryphen. Und doch finden sich darin Gedanken, die ich unterstreichen kann und auch gut finde – ähnlich wie ich dies bei Artikeln aus der „FAZ“ erlebt habe.
Der Monatsspruch ist ein solcher Gedanke: „Gott lieben, das ist die allerschönste Weisheit.“ Er bringt zum Ausdruck, dass eine positive und lebendige Beziehung Gott nicht als eine Art Pflicht oder Last empfunden wird, sondern als Weisheit – ja als allerschönste Weisheit. Eine Weisheit, weil in der gelebten Gottesbeziehung eine Lebensdimension zum Tragen kommt, die ansonsten fehlen würde. Gott zu lieben heißt, das Leben nicht nur horizontal, sondern auch vertikal zu führen. Zu wissen und auch zu erwarten, dass das Leben in einer ausschließlich irdischen Ausrichtung nicht vollkommen aufgeht, sondern dass in der Beziehung zu und mit Gott ein „Mehr“ des Lebens erschlossen wird – ein „Mehr“, das zeigt, dass diese Welt, ihre Bewohner und auch ich selbst in einem größeren Kontext zu begreifen sind. Genau darin liegt die „allerschönste Weisheit.“ Eine Weisheit, die sich für gewöhnlich nicht in Tageszeitungen finden lässt, auch nicht in der „Süddeutschen“.
Mit herzlichen Grüßen und Segenswünschen für die kommende Zeit,
Ihr Pfarrer Dr. Gregor Bloch
im Juli 2022