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Jesaja 58, 10

 

 

Monatsspruch November 2008
„Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“
Jesaja 58, 10

Als Jesaja seinem Volk um 520 v. Chr. diese Worte sagt, sind die Verbannten aus Babylon wieder zurückgekehrt. Der Tempel in Jerusalem darf wieder aufgebaut werden. Aber Jerusalem liegt noch in Trümmern. Die Hoffnungen sind groß, die tatsächliche Lage aber ist trostlos: Die Menschen wollten „heil“ werden. Am liebsten wollten sie Gott herbeizwingen. Sie fasten, sie suchen nach Wegen, suchen nach Gott und seiner Gegenwart – fast mit Gewalt.
Wir schlagen einen Bogen nach heute: die Hoffnungen sind groß, die tatsächliche Lage aber erscheint vielen Menschen trostlos. Sie suchen nach Heil in heilloser Zeit.
Einerseits könnte man sagen: nie ging es uns so gut wie heute. Und gleichzeitig muss man erkennen – wenn man die Hoffnungslosigkeit und die Heillosigkeit vieler Menschen sieht: Wann ging es uns so schlecht wie heute (Zivilisationskrankheiten, Depressionen, Aggression, Einsamkeit und Teilnahmslosigkeit). Der Kasseler Planungswissenschaft­ler Helmut Holzapfel sagt es brutal: „Wir verschwenden nicht deshalb so viel, weil wir so gut, sondern weil wir so beschissen leben.“ Darum gibt es inzwischen auch verstärkt Gegenbewegungen:
Viele suchen wieder Heil im Fasten, in der Enthaltsamkeit, im Rückzug in die eigene Innerlichkeit… Wir suchen – bis zur Sucht, aber wir werden nicht heil – im Gegenteil.
Und das hat seinen Grund: denn sowohl in der Verschwendung, als auch in dieser Art von Fasten kreisen wir ewig um uns selber. (Um mein Glück, um meine Gesundheit, um mein Vergnügen...)
Und dieses ewige Kreisen um sich selber ist das Gegenteil von Heil sein, das ist Sünde. Luther nennt das den „Homo incurvatus in seipsus“ – den in sich gefangenen Mensch – der in seinem Denken immer nur um sich kreist – der wird auch nicht heil, weil er aus diesem „Teufelskreis“ nicht herauskommt.
Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag – zu diesem Blickwechsel will uns stattdessen Jesaja einladen:
Verzichtet auf die ICH-Bezogenheit, lenkt den Blick auf den Nächsten und guckt, was der braucht. Das ist Zuneigung – auf dieser Basis entstehen Beziehungen! Wo der Blick von mir weg – hin zum anderen gelenkt wird: was er braucht, was ihm fehlt: der Hungrige braucht Brot, der ohne Obdach braucht Unterkunft, das Kind oder der Enkel braucht vielleicht mehr Zeit, der Partner braucht vielleicht mehr Gespräche.
Karl Barth sagte dazu: die Aufforderung: „Gib es den Armen!“ bedeutet: bewei­se, dass du es hast, statt dass es dich hat! In der Hinwendung zum anderen wird der Mensch frei! Er wird frei von dem ewigen Kreisen um sich selber, frei von diesem Schatten der eigenen Unzulänglichkeiten (zu alt, zu einsam, zu hässlich, zu arm…)
In der Hinwendung zum anderen wird der Mensch seinem Nächsten das, was Gott ihm geworden ist.
Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
Heike Stijohann