Siehe, Gott ist mein Heil,
ich bin sicher und fürchte mich nicht;
denn Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.
Jesaja 12,2
Das kleine Kind, das morgens wach wird, streckt die Arme nach Mutter oder Vater aus und geht Minute für Minute und Schritt für Schritt dem Tag entgegen. Im besten Fall geborgen in der Stärke und Fürsorge der Eltern fragt es noch nicht, was morgen sein wird, was es am Abend essen wird, ob es auch morgen noch spielen kann, oder ob es vielleicht in diesem Jahr noch krank werden könnte.
Aber wenn wir älter werden, besteht zunehmend die Gefahr, dass wir das Gefühl der Geborgenheit ganz und gar verlieren: Der Glaube rutscht weg, der Blick richtet sich zunehmend auf Dinge, die nicht mehr so sind, wie sie waren und die Selbstsicherheit wird immer kleiner. Die meisten unter uns könnten auf Anhieb sagen, was oder wen sie vermissen, was nicht mehr so gut geht. Das war zu allen Zeiten so – und ist etwas Urmenschliches.
Jesaja ruft dem Volk etwas anderes zu: Siehe, schaut doch, hebt Eure Augen auf, seht hoch: Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht; Gott der HERR ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil. Man könnte sagen, siehe, nimm den Kopf hoch: Denn das lenkt den Blick und die Wahrnehmung ganz woanders hin - nicht auf die eigenen Defizite, sondern auf Gottes Heil. Genau deswegen feiern wir sonntags Gottesdienste: Weil wir unsere Blickrichtung ändern und unseren Blick heilsam lenken lassen wollen.
Mitten in schwieriger Zeit ändert Jesaja die Sichtweise: Er trägt sich auch mit Erinnerungen, schönen und schweren – aber er beschränkt sich auf Lob und Dankbarkeit und Singen.
Wie gesagt: Er ändert den Blickwinkel! Und das gibt ihm Sicherheit und Halt und Hoffnung.
„Bis hierher hat mich Gott gebracht", er hat mich bewahrt und versorgt und getragen, fürsorglich und stark - „hilf fernerweit, mein treuster Hort", er wird mich auch in der Zukunft stärken und stützen.
Gott ist mein Heil – ich suche das „Heil" nicht bei mir und meiner Stärke oder Gesundheit oder meinen Möglichkeiten. Für viele klingt das „weltfremd" – aber das ist gut so: Die „Welt", wie sie Jesaja umgeben hat und die Welt, wie sie uns umgibt, kann diese Sicherheit nicht leisten! Die „Welt", die Menschen, die Gesundheit, die Politik, die Natur ist vergänglich. Und nicht nur das: Immer, wenn Menschen das „Heil" bei einem Führer suchten, ist furchtbares „Unheil" über die Welt hereingebrochen, wie es z. B. unsere Gnadenkonfirmanden, die 1942 konfirmiert wurden, erlebt haben. In ihrem Konfirmationsjahr sind allein bei den Kämpfen in und um Stalingrad 700.000 Menschen ums Leben gekommen.
Heil versprechen und wirklich heil machen kann nur Gott in Liebe und Vergebung. Und trotzdem ist dieses Heil eigentlich ganz und gar nicht weltfremd - übersetzt heißt es: Gott ist meine „Jeschua".
In Jesus Christus wurde Gott Mensch und kam zu uns und blieb ganz und gar nicht „weltfremd". Im Glauben an Jesus Christus, dessen Name sozusagen Programm ist, kann ich gelassen nachfolgen, Sorgen abgeben, Angst und Schuld erzählen und loslassen und den nächsten Tag leben.
Heil in diesem Sinne meint nicht nur außerhalb oder am Ende meines Lebens, sondern mitten in all der Unsicherheit, der Traurigkeit manchmal, der Heillosigkeit, der Angst ist Gott meine Stärke. Ich bin nicht stark – Gott ist meine Stärke, meine Sicherheit, mein Psalm und mein Heil.
Heike Stijohann
(Juni 2012)