Lernt, Gutes zu tun! Sorgt für das Recht!
Helft den Unterdrückten! Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen!
(Jesaja 1, 17)
Liebe Leserin, lieber Leser,
wer bei einer Reise durch Mecklenburg-Vorpommern den Dom in Güstrow betritt, findet in einer Seitenkapelle den schwebenden Bronzeengel von Ernst Barlach. Der Künstler schuf ihn 1926 anlässlich der 700-Jahr-Feier des Domes und als Mahnmal für die Toten des Ersten Weltkrieges.
Er schwebt ohne Flügel, schweigt, seine Hände sind nach innen gewandt und die Augen gesenkt. Er schwebt über einem Gitter, das einen Stein mit den Namen der Opfer des Ersten Weltkrieges umschließt. Ein Mahnmal gegen den Krieg und ein Ruf zum Frieden.
Aber nur wenige Jahre konnte „der Schwebende“ im Güstrower Dom hängen. Während des III. Reiches galten Barlachs Kunstwerke als „entartet“. Er selbst durfte nicht mehr ausstellen und sein Bronzeengel wurde aus dem Dom in Güstrow entfernt. Man hat ihn verschrottet und Munition aus ihm gemacht.
Was für ein Widersinn: Der Engel, der zum Frieden mahnen sollte, wurde selbst zum Kriegswerkzeug.
Glücklicherweise ist die Geschichte des Engels damit aber nicht zu Ende. Freunde von Ernst Barlach hatten das Gipsmodell retten können und einen Zweitguss gefertigt, der während des Krieges in der Lüneburger Heide versteckt wurde. Dieser zweite „Schwebende“ fand 1952 seinen Platz in der Antoniterkirche in Köln - nun nicht mehr nur als Mahnmal für die Toten des ersten, sondern auch des Zweiten Weltkrieges. Aus diesem Zweitguss wurde ein Dritter gefertigt und 1953 der Domgemeinde in Güstrow wieder übergeben. Seither hängt Barlachs „Schwebender“ wieder an dem Ort, für den er ihn einst geschaffen hatte.
Zwei Engel – der eine im Westen und der andere im Osten Deutschlands. Der eine inmitten der geschäftigen Großstadt Köln und der andere in dem kleinen verschlafenen Güstrow in Mecklenburg. Was würden die beiden einander wohl zu erzählen haben? Von den Menschen, die die Kirchen aufsuchen und unter den Schwebenden zur Ruhe und Andacht finden? Die eine Kerze entzünden und ihre Sorgen und Ängste im Gebet vor Gott bringen, auch über das Leid in der Welt unserer Tage? Was würden sie einander sagen, wie es war, als vor 25 Jahren die Mauer fiel, von der so viele meinten, sie sei unumstößlich?
Der Ostengel und der Westengel: beide rufen sie zum Frieden und zur Versöhnung. Daran werden wir uns auch wieder erinnern lassen, wenn wir an den Gedenktagen im November in unseren Kirchen und Friedhöfen der Toten der Kriege gedenken und uns zum Frieden und zur Versöhnung mahnen lassen.
Pn. Iris Opitz-Hollburg
Monatsspruch November 2014