„Gönn dir“, so sagen mir Jugendliche manchmal, wenn ich gerade eine Pause einlege, mir etwas Gutes tue, ein Eis esse, die Sonne genieße. Darin steckt der Wunsch, das Leben zu genießen, auch wenn es gerade stressig ist oder gar Probleme und Sorgen bereithält.
„Gönn dir“, denn das bringt eine Unterbrechung und andere Gedanken, bestenfalls einen neuen Blickwinkel auf das Leben mit seinen Herausforderungen. Sich etwas zu gönnen, ist vielleicht nicht besonders „hoch im Kurs“, es widerspricht unserem weitverbreiteten Ideal zu arbeiten, Leistung zu erbringen und sich dabei am besten keine Pause zu gönnen.
„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ (1. Mose 27, 28),
diesen Wunsch lesen wir im 1. Buch Mose und sind vielleicht erstaunt. Gott gönnt uns die Freude an seiner Schöpfung, Gott gönnt uns den Genuss dessen, was sie zu bieten hat – an Schönem und an der ganzen Fülle der aus ihr gewonnenen Erzeugnisse. Nicht umsonst sind diese Worte wohl der Monatsspruch für den Monat Juli – mitten im Sommer, bei hoffentlich warmem und sonnigem Wetter. Denn da lässt es sich vielleicht am besten genießen, womöglich im Urlaub unterwegs, aber bestimmt viel draußen, mit anderen Menschen in Gemeinschaft, Spaß haben, schwimmen, tanzen, spielen, grillen – all das können wir in dieser Jahreszeit besonders genießen. „Gönn dir“, so gewährt uns sogar Gott diesen Genuss, die Auszeit, die gemeinsame Fröhlichkeit – obwohl noch so viel zu machen und zu erledigen ist, obwohl die Welt überhaupt nicht in Ordnung und so viel „im Argen“ liegt. Aber gibt dies alles nicht unserem Genuss gleichsam einen „Knacks“? Können wir das wirklich? Wäre es nicht viel besser, dies oder jenes zu erledigen? Müssten wir nicht viel eher…? Nein, denn Gott hat uns geschenkt, was wir zum Leben brauchen, und noch mehr dazu. Und wir dürfen es genießen.
„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ (1. Mose 27, 28)
Diese Worte laden uns ein, unser Arbeiten zu unterbrechen, Pausen zu machen, und all dies nicht von einem schlechten Gewissen begleiten lassen zu müssen. „Me moss och jönne könne“ – „Man muss auch gönnen können“, so sagt eine Redensart, die im Rheinland verbreitet ist, und die ganz gelassen unsere Zufriedenheit erhalten möchte, wenn wir sehen, wie sich andere etwas gönnen, und ich das gerade nicht kann. Die Redensart, die zumindest in unserem Klischee rheinische Lebensart umschreibt, beugt nicht nur dem Neid vor, sondern sie ergänzt auch in idealer Weise, wie ich finde, die zitierten biblischen Worte aus dem 1. Buch Mose. Denn sie verweisen mich auf die anderen, die Menschen um mich herum, denen ich nicht nur ohne Neid, sondern vielmehr mit Interesse und Aufmerksamkeit begegnen soll, dass das Leben gelingt und alle von den Gaben Gottes genießen können.
„Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ (1. Mose 27, 28)
Als diese Worte zum ersten Mal gesprochen werden, sind sie von einem üblen Streit unter Geschwistern begleitet und sehr getrübt. Dieser dauert eine lange Zeit, Entfernung und Entfremdung sind die Folge. Doch die Bibel erzählt auch von der Versöhnung der beiden Brüder Jakob und Esau. Und erst, als sie sich in die Augen schauen können und sich nicht mehr gegenseitig Böses wünschen, gewinnen die Worte des väterlichen Segens Wahrheit und Kraft. „Gott gebe dir vom Tau des Himmels und vom Fett der Erde und Korn und Wein die Fülle.“ (1. Mose 27, 28) Dass wir davon im Sommer etwas spüren, dass wir uns und den anderen gönnen können und dass wir uns dabei noch gelassen und heiter in die Augen schauen können, das wünscht uns allen
Ihr Pfarrer Matthias Zizelmann
Mai 2023